Nach den Ereignissen in der Pubertät trat für etwa drei Jahre eine spürbare Phase der Ruhe ein. Dennoch fühlte ich mich in all dieser Zeit nie wirklich allein. Ein innerer Drang brachte mich nach wie vor dazu, jeden Tag an die Wesen und an meine Erlebnisse zu denken. Wenn ich versuchte, sie auf Teufel komm raus zu verdrängen, passierte irgendeine Kleinigkeit, die mich dazu brachte, meine abwehrende Haltung wieder aufzugeben. Ich erinnerte mich verschwommen daran, nachts auf jemand oder etwas reagiert zu haben oder eine nebelhafte Form im Zimmer gesehen zu haben. Was sich mir da zeigte, war nicht unmittelbar physisch anwesend und schien doch seine fortwährende Anwesenheit in meinem Leben zu unterstreichen.
Ich hatte bereits gelernt, dass die Wesen imstande waren, das menschliche Bewusstsein zu beeinflussen. Jetzt stellte sich mir eine andere Frage: Waren sie nie wirklich ganz „weg“, selbst wenn sie nicht körperlich hier waren? Existierte eine Art von Verbindung, die es ihnen ermöglichen konnte, über mich und mein Leben auf dem Laufenden zu bleiben?
Wenn das der Fall sein sollte, dann waren sie mir durch eine turbulente Zeit gefolgt. Ihre Anwesenheit hatte mein Leben dermaßen aufgewühlt, dass es mir rückblickend fast unglaublich erschien, wie ich all die Jahre hindurch überhaupt funktioniert haben konnte. Mein „ALL“-Tag war zu einem erschöpfenden Pendel geworden, das unaufhörlich zwischen der aktiven Verdrängung meiner Erinnerungen und der lähmenden Angst vor einem nächsten Aufeinandertreffen ausschlug. Manchmal denke ich, dass die Wesen sich absichtlich im Hintergrund versteckt gehalten haben, damit ich meine Gedanken sammeln und in Ordnung bringen konnte.
Ich durchlebte Periode, in der ich mich mit meinen Erfahrungen vollkommen isoliert fühlte, da die umgebende Realität scheinbar im kompletten Widerspruch zu ihnen stand. Als Reaktion darauf entwickelte ich einen inneren Widerstand, der sich in extremer Skepsis und dem verzweifelten Versuch äußerte, ein ganz normales Leben zu führen. Wieder und wieder wälzte ich alle möglichen Argumente in meinem Geist, um schließlich zur Erkenntnis zu gelangen, dass mir niemand eine zufriedenstellende Erklärung für meine Erfahrungen geben konnte. Die alten Ängste kehrten zurück, und stellenweise schlief ich nur dreieinhalb Stunden pro Nacht.
Irgendwann machte mir ausgerechnet die hartnäckige Präsenz der ominösen Schattengestalten in meinem Zimmer eines klar: Nämlich, dass ich sie mit meinen inneren Kämpfen nur verdrängt hatte, anstatt mich tiefergehend mit ihnen auseinanderzusetzen. Wenn ich kein Opfer sein wollte, musste ich mich den Schatten stellen und lernen, ihnen einen Platz in meiner Welt zuzuweisen.
Dies alles lehrte mich, mich so zu akzeptieren, wie ich war. Ich begann an mich selbst glauben und auf meiner Suche über den Tellerrand zu schauen, anstatt mich von vorgefertigten Meinungen leiten zu lassen. Auf diese Weise habe ich mehr über mich und die Welt gelernt als ich es durch irgendetwas anderes in meinem Leben getan habe. Die Erlebnisse haben mich letztendlich zu dem gemacht, was ich heute bin.
Diese Entwicklung schien nicht unbemerkt zu bleiben, aber insgeheim hoffte ich immer noch auf ein klare, handfeste Demonstration ihrer Existenz. Gleichzeitig gab ich einem inneren Drang nach und machte mich auf die Suche nach anderen Entführten.
Ich hatte einen Internetanschluss bekommen und durch „Zufall“ eine weitere Betroffene gefunden, mit der ich mich zum ersten Mal austauschen konnte. Das folgende Erlebnis fiel ungefähr in diese Anfangszeit.
Frühjahr 2002
Die Alarmglocken in meinem Körper begannen zu schrillen. Ich kam zu mir, aber es fühlte sich an, als ob jemand anderes mein Bewusstsein in seinen Händen halten würde. Die Empfindungen erinnerten mich an jenen nebelhaften, tranceartigen Bewusstseinszustand, in dem ich über keine volle Kontrolle über meine körperlichen Funktionen verfügte. Mein Geist hingegen war wach genug, um zu registrieren, dass irgendjemand gerade in meinem Kopf aktiv war. Mein zweites Gefühl war, dass ich eigentlich nicht aufwachen sollte.
Ich befand mich nicht in meiner normalen, physischen Umgebung. Um mich herum war nichts außer ein weißlicher, undurchsichtiger Nebel. Mir gegenüber, nur wenige Schritte entfernt, stand eines der grauen Wesen. Es übermittelte mir im Geist, dass ich ruhig bleiben und weiterschlafen sollte. Wahrscheinlich hätte mich diese Anweisung ganz einfach wieder in den Schlaf zurückschicken sollen, doch ich wusste, dass irgendetwas an der ganzen Situation nicht stimmte. Es war wie der Moment in einem Traum, in dem man sich des Träumens bewusst wird und ein luzides Erwachen erlebt. Mir war jetzt klar, dass mein eigentlicher Körper im Bett lag und schlief.
Die Antwort des Wesens erweckte einen kämpferischen Trotz in mir, der meine Bewusstheit noch weiter förderte. Es führte zu einem kleinen geistigen Kräftemessen und war eines der wenigen Male, an denen ich mich an die Kommunikation mit ihnen erinnern kann.
Ich übermittelte dem Wesen, dass ich gleich aufwachen würde. Das Wesen sagte mir, dass ich das nicht tun würde. Ich ging einen Schritt weiter und antwortete, dass ich JETZT aufwachen und aus dem Bett aufstehen würde. Gleichzeitig spürte ich, wie die Kontrolle des Wesens langsam nachließ, und nutzte diesen Moment, um mich noch energischer aus seinem geistigen Griff zu befreien.
Dem Wesen blieb noch kurz Zeit, um mir zu sagen, dass ich das nicht tun werde und dass es mich daran hindern würde. Sofort danach brach das gesamte Gedankenbild auch schon in sich zusammen. Die weiße Umgebung verblasste und löste sich auf. Die geistige Verbindung mit dem Wesen wurde auf einen Schlag gekappt. Ich hatte es tatsächlich fertigbekommen, meinen Körper zum Aufwachen zu bewegen, und war wieder im Besitz meiner physischen Empfindungen. Ich war jedoch nicht auf das vorbereitet, was als nächstes folgte.
Ich befand mich in meinem Bett und lag auf dem Rücken. Da war eine Hand in meinem Gesicht. In dem Moment, als ich aufwachte, begann sie meinen Kopf zurück in das Kissen zu drücken. Es war das Gefühl eines großen Handtellers, der sich anatomisch ganz deutlich von einer menschlichen Hand unterschied. Ich konnte die Bewegungen der einzelnen Finger an meinem Stirnbereich fühlen, die mir eher lang, dünn und „unvollständig“ erschienen, als ob es vier anstelle von fünf Fingern gehabt hätte. Es wirkte wie ein reflexhafter, etwas unbeholfener Griff, wie sie von einer Person ausgeübt werden würde, die direkt neben meinem Bett stehen würde.
Ich war jetzt hellwach. Ich konnte das alles fühlen, doch zu meinem Entsetzen blieb mein Körper wie gelähmt. Ich konnte zunächst nicht einmal meine Augen öffnen. Der Adrenalinrausch und das Gewicht der Hand auf meinem Gesicht setzten meinen alten „Flucht oder Stirb“ – Modus in Gang. Er versetzte mich in einen solchen Tunnel, dass ich meine ganze Energie darauf verwendete, um gegen meine Bewegungslosigkeit anzukämpfen. Mein erster automatischer Impuls bestand darin, zuerst meinen Kopf aus der Umklammerung der Hand zu lösen.
Ich fixierte mich so sehr auf die Bewegung des Kopfes, dass ich die Lähmung in diesem Bereich langsam durchbrechen konnte. Zu meiner Überraschung schaffte ich es, meinen Kopf ruckartig zur Seite zu bewegen. Die Hand hatte erkennbar Schwierigkeiten damit, meinen Kopf weiter zu fixieren. Als ich den Kopf wegzog, spürte ich noch einmal ganz intensiv die Finger, die einen letzten Versuch unternahmen, um mich weiter nach unten zu drücken. Sie wanderten teilweise mit der Bewegung meines Kopfes mit, verloren durch den plötzlichen Ruck aber ihren Halt und glitten ab. An diesem Punkt wurde die Hand deutlich wahrnehmbar zurückgezogen. Ein oder zwei Finger streiften kurz über meine Wange, dann war sie weg. Die Paralyse in meinem Körper fiel ab. Ich drehte mich zur Wand und warf die Bettdecke über mich.
Atemlos lauschte ich in den Raum hinein. Würde ich gleich wieder die Berührung einer Hand spüren? Die Stille war wie zum Zerreißen gespannt. Ich wartete. Nichts geschah. Mein Herzschlag wollte sich der trügerischen Ruhe noch nicht hingeben. Ich hielt den Schutz meiner Decke weiter aufrecht und lauschte. Nach fünf Minuten fand ich den Mut, mich vorsichtig aus meiner Deckung herauszuwagen. Der Raum war leer. Ein neues Mysterium.
Grafik: Erstellt mit künstlicher Intelligenz von Microsoft Bing