Alien-Piraten

Teil 5 – Erinnerungsfunken

Für mich persönlich stellen sich die Aliens als etwas dar, das ich wie durch einen langen dunklen Tunnel oder auf dem Grund eines tiefen Brunnens sehe. Ich stehe hier, auf der einen Seite, im Lichte unserer vermeintlichen Realität. Sie hingegen stehen weit, weit entfernt, irgendwo in den Schatten, so dass man ganz natürlich dazu neigt, sie einfach wieder zu vergessen. Wenn man in den Erinnerungen nach ihnen sucht, erblickt man lediglich ihre kleinen, unscharfen Konturen, die an den Rändern unserer Wirklichkeit zu stehen scheinen wie an der Schwelle zu einer anderen Welt, die man nur gemeinsam mit ihnen betreten kann.

Wenn man mit den Aliens zusammentrifft, fühlt es sich in etwa genau so an. Sie tauchen auf, wenn man es am wenigsten erwartet, flammen ganz unvermittelt auf wie ein Meteor, um kurz darauf wieder zu verblassen. Die Funken erlöschen, die Welt erzittert kurz und wird wieder still – fast so, als wären sie nie dagewesen. Keine Lichtpunkte am Himmel, keine Schritte in der Dunkelheit. Nichts bleibt zurück, außer Stille – und ein vages Gefühl. Man beginnt zu vergessen. Gibt es sie überhaupt? Sind sie jemals wirklich da gewesen?

Im nächsten Moment sind sie plötzlich wieder da, ganz nah.

Dieses Bild beschreibt nicht nur, was ich für meine eigene Situation sehe, sondern sogar das, was ich für die Welt als Ganzes sehe. Sie sind immer da, und sie können jederzeit hier sein, wenn sie es darauf anlegen.

Der Zeitraum zwischen 1994 und 1996 war in vielerlei Hinsicht eine Offenbarung für mich. Mir wurde zum ersten Mal das Ausmaß meiner Erinnerungen bewusst. Vieles, was bis dahin dicht unter der Oberfläche geschlummert hatte, bahnte sich seinen Weg zurück nach oben. Ich hatte intensive Bilder und Gefühle von vergangenen Geschehnissen im Kopf, die ich bislang nicht in die richtige Ordnung bringen konnte. Mir fehlten schlicht und einfach die Worte für das, was ich erlebt hatte. Meine Umwelt hatte mir einen Realitätsbegriff vorgegeben, in dem ich keinen Raum für meine Erfahrungen finden konnte. Die Alien-Darstellungen, denen ich in meiner Kindheit begegnete, besaßen keinerlei Ähnlichkeiten mit „meinen“ kleinen Männern. Es war die Zeit vor Akte X. Das heute so populäre Bild der Grauen oder „Greys“ war zur damaligen Zeit nur in speziellen Zirkeln bekannt und nicht in den deutschen Medien präsent.

Zu allem Überfluss verhielten sich meine Erinnerungen ganz anders als meine „normalen“ Erinnerungen. Sie waren so flüchtig wie die Schatten, aus denen die Wesen hervorgingen, und gleichzeitig so ungemein berührend – oder besser gesagt, aufwühlend. Ich bekam Herzklopfen, wenn ich die Bilder in meinem Geist heraufbeschwor, und trotzdem stieß ich andauernd auf Lücken und rätselhafte Mauern. Sobald die kleinen Männer in der Nacht an mich herangekommen waren, war mein gesamter Körper von einem durchdringenden Gefühl ergriffen worden. Und danach? Nur schleierhafte Eindrücke, einzelne Bruchstücke, oder bloße Leere. Ein großes, klaffendes Nichts. Gleichzeitig wusste ich, dass es nicht das Ende der Erfahrung bedeutete. Ich würde am nächsten Morgen zwar wieder in meinem Bett aufwachen, aber ich war mit den Wesen mitgegangen. Ich mochte es nicht, dass ein Stück meines Lebens bei ihnen zurückgeblieben war.  Also versuchte ich diese Bilder in mir zu bewahren, so gut es mir möglich war.

Wie kann es sein, dass man sich nicht mehr so einfach an etwas erinnern kann, das man doch eigentlich erlebt hat? Wie soll man jemanden etwas erklären, das man noch nicht einmal sich selbst erklären kann? Für einen Außenstehenden ist das alles vielleicht etwas schwer nachzuvollziehen, besonders nach den drastischen Erfahrungen im  letzten Teil meines Erlebnisberichts. Wie kann man das „vergessen“? Vielleicht konnte ich nur deshalb weitermachen. Ich konnte weiter Kind sein, mit meinen Freund spielen und auf Bäume klettern, während ein Großteil meiner Erinnerungen im Sonnenlicht verblasste.

Die merkwürdige Reaktion, die ich einigen dieser Erinnerungen entgegenbrachte, wirkt dazu ganz passend: Sobald sie zum ersten Mal in mir aufflammten, waren sie mit einer: „Ganz egal“ – Mentalität verbunden. „Egal, alles gar nicht so wichtig“, schien es in meinem Geist zu ertönen. Ich begrub meine inneren Bilder daraufhin, nur um ein paar Tage später erneut über sie zu stolpern und völlig entsetzt darüber zu sein, wie ich sie überhaupt vergessen konnte! Dieses Phänomen ist unter vielen Experiencern geläufig. Es macht auf den ersten Blick keinen Sinn und verbreitet den Anschein, als ob man bestimmte Geschehnisse für den Augenblick vergessen sollte oder die Anweisung bekommen hat, sie erst einmal beiseite zu legen. Und vielleicht ist das manchmal sogar besser so. Es sollte allen Betroffenen als Mahnung dafür dienen, ein Tagebuch über seine ungewöhnlichen Geschehnisse anzulegen.

Vielleicht hätte das noch eine ganze Weile so bei mir weitergehen können. Ich hätte ein Leben zwischen zwei parallelen Existenzen geführt, die niemals zu verschmelzen bestimmt zu sein schienen. Ich halte es für möglich, dass das bei vielen Menschen der Fall ist und nur eine vage Ahnung dieser Erfahrungen in ihren Erinnerungen zurückbleibt. Aber in meinem Fall war das nicht länger möglich. Ich hatte schon zu viel gesehen, und die Auswirkungen der nächtlichen Geschehnisse manifestierten sich zunehmend in meinem Alltag.

Bestimmte Auslöser – ein Geräusch, ein Bild, ein gelesener Satz – katapultierten mich wieder zurück in die Nähe der Wesen, die ich besser zu kennen schien, als es mir eigentlich lieb war. Die aufsteigenden Bilder waren von immenser Wichtigkeit und gleichzeitig so unerreichbar fern. Als Kind versuchte ich unentwegt, mir einen Reim darauf zu machen, und spürte, dass diese Erinnerungen etwas sehr Bedeutsames enthielten. Hier sind zwei kleine Beispiele dafür:

In einem Märchenbuch stieß ich einmal auf eine Geschichte über drei oder vier „kleine Räuber“. Die Illustration zeigte sie als kleine Piraten mit schwarzen Augenklappen, die nachts ein Kinderzimmer betraten, in dem ein Junge in seinem Bett lag. Diese Kombination löste eine der Erinnerungen an die kleinen Männer aus, die nachts aus dem Flur in mein Zimmer kamen.

Alien-Piraten

Etwas ähnliches geschah, als ich zum ersten Mal die die großäugigen „Gorgs“ mit ihren seltsam dröhnenden Stimmen in der „Fraggle-Show“ sah. Ich geriet dabei regelrecht in Panik. Zur Erklärung: Die Fraggles lebten in einer ständigen Bedrohung. Sie mussten jederzeit mit dem Erscheinen der Gorgs rechnen, die sie einfangen und mit sich nehmen wollten. Ihre großen Augen, die dröhnenden Stimmen und das Fangen triggerten etwas in mir. In einem Moment war alles noch ganz normal, doch auf einmal konnte die Welt irgendwie aufplatzen und sich verändern. Im nächsten Augenblick standen die kleinen Männer da und wollten mich mit sich nehmen. Die Furcht vor dem plötzlichen Einbruch dieser anderen Dimension wurde für mich allmählich gegenwärtiger.

Parallel zu den vielen Besuchen der Wesen fand eine Persönlichkeitsveränderung bei mir statt. Einige Wesensmerkmale, die vorher schon bei vorhanden waren, begannen langsam eine andere Qualität anzunehmen. Ich wurde sehr schüchtern und ängstlich gegenüber anderen Menschen. Anstatt wie früher im Freien zu spielen, zog ich mich lieber in die Sicherheit meines Zuhauses zurück. Wenn meine Mutter mich dazu bringen konnte, einmal nach draußen zu gehen, streifte ich alleine mit meinem Fahrrad durch die Gegend. Meinen Eltern und Großeltern war diese Veränderung ebenfalls ins Auge gefallen. Letztendlich blieb es aber ein großes Rätsel für sie, da sie keine äußeren Ursachen für mein Verhalten finden konnten.

Später las ich einige Dinge über PTSD (Posttraumatische Belastungsstörungen) und musste feststellen, dass ich in der damaligen Zeit viele Folgesymptome entwickelt hatte. Meine Erlebnisse mit den kleinen Männern waren extrem angstbehaftet. Ich habe bis heute keine Angst erfahren, die auch nur annähernd an die Begegnungen mit ihnen herankommt. Es war eine regelrechte Urangst, die eine unkontrollierbare Flucht- oder Stirb-Reaktion in mir auslöste. Ich hatte über viele lange Jahre hinweg Schwierigkeiten damit, diesen automatischen Reflex in mir einzudämmen.

Darüberhinaus wurde ich zu einem sehr introvertierten Kind. Ich war gerne allein mit mir selbst und entwickelte ein reiches Innenleben. Irgendwann war ich regelrecht von der Natur des Geistes besessen. Für jeden anderen waren Gedanken etwas Selbstverständliches, doch ich ahnte, dass eine weit tiefreichendere Bedeutung hinter ihnen stecken musste. Meine Plüschtiere wurden zu meinen neuen Vertrauten und imaginären Gefährten. Die Gedankensprache war unsere Geheimsprache. Ich kann nicht ausschließen, dass es dabei Gedanken gab, die sozusagen von „außen“ in mich eindrangen. Neben meinen eigenen Gedanken empfing ich so etwas wie spontane Geistimpulse, die mich auf die Wunder der Natur um mich herum aufmerksam machten. Während der Phase meiner schwierigen Alien-Erlebnisse wurden meine Plüschtiere zu Begleitern und Beschützern für mich. Eines Tages war ich seltsamerweise von dem Gedanken besessen, dass sie von einem anderen Planeten stammen würden und wir auf der Erde zusammengefunden hätten.

Auf die Frage nach der Ursache meiner Erinnerungslücken sah ich mich also mit verschiedenen Ansatzpunkten konfrontiert. Ich denke, dass jeder dieser Faktoren universal ist und in unterschiedlicher Höhe in das „Vergessen“ mit hineinspielen kann: Meine extremen Ängste, die sich auf die Natur der Erlebnisse bezogen, könnten eine Art Verdrängungs- oder Schutzfunktion in Gang gesetzt haben. Es gab einen großen, unbekannten Faktor, der etwas mit den Wesen selbst oder sogar mit den Umständen ihres Erscheinens und mit den Umgebungen zu tun hatte, in die sich mich brachten. Und es gab einen letzten unterschätzten Faktor, der dazu führte, dass ich lange keine Worte oder keinen Sinn für meine Erlebnisse hatte. Meine Umgebung hatte mir einen Realitätsbegriff vorgegeben, der sich nicht mit meinen Erlebnissen deckte. Ich musste erst eine schmerzhafte Bewusstseinserweiterung durchlaufen, um das Ausmaß dieser gesellschaftlichen Prägung zu verstehen. In unserer Gesellschaft hat sie sich zu einem unbewussten, kollektiven Dogma verselbständigt, weil es nie zu einem genügend großen Informationseinbruch gekommen ist, um diesen zerbrechlichen Status Quo herauszufordern. 

Was diesen Punkt anbelangt, kam es Anfang der 90er Jahre glücklicherweise zu einer kleinen Revolution, denn die Ufo-Thematik begann jetzt in das öffentliche Blickfeld zu rücken. Das Fernsehen sendete verstärkt Filmbeiträge, Diskussionsrunden und kurze Dokumentationen. Meine Mutter und meine Großeltern teilten meine Ufo-Faszination. Ich konnte mir die verschiedenen Sendungen ansehen und heimlich in den Büchern meiner Mutter blättern. Die Ufo-Bilder aus diesen Büchern, die wahrscheinlich größtenteils Fälschungen waren, lösten eine unerklärlich starke Furcht in mir aus. Zu Entführungen durch Außerirdische fand ich keinen besonderen Zugang, da die Thematik ziemlich verkürzt und leider häufig am Rande der Lächerlichkeit dargestellt wurde. Es blieb ganz einfach zu abstrakt für mich. Ich erinnere mich hingegen an die Zeichnung einer amerikanischen Entführten, in der einfach nur die dunklen Körpersilhouetten einiger grauer Wesen zu sehen waren – das war eine Bild aus meinem Leben, das ich erkannte. Es brachte etwas in mir zum Klingeln. Ich sah sie wieder vor mir, und das jagte mir einen ziemlichen Schauer über den Rücken. Mit diesem einen Bild kam der Stein für mich ins Rollen.

Zeitgleich begann ich intuitiv mit dem Schreiben eines kleinen Tagebuchs, das mir heute einen interessanten Einblick in meine damalige Gedankenwelt verleiht. Zunächst wollte ich darin meine „Ufo-Träume“ aufschreiben. Ich suchte damals eine Art Kontakt zu den Außerirdischen. Diese Idee steigerte sich zu einer inneren Sehnsucht, die ich mir ebenfalls nicht erklären konnte.

Aus der heutigen Perspektive spiegeln diese Träume meine Ängste wider, die ich in ihnen verarbeitete – speziell meine Erlebnisse aus dem Kapitel: „Der Junge, der gegen die Greys kämpfte“. Meine Erlebnisse waren mir bislang nicht im vollen Umfang bewusst. Die einzelnen Teile des Puzzles lagen vor mir, doch es fehlte der eigentliche „Klick“, der alles ineinanderfügte. Es war zu erkennen, dass es in mir arbeitete und dicht unter der Oberfläche brodelte.

Zunächst nahm ich mir vor, den Aliens zwei oder drei Fragen zu stellen, die ich ihnen im Traum stellen wollte. Damals war ich 11 Jahre alt. Mein kindlicher Enthusiasmus musste schnell einigen düsteren und verstörenden Träumen weichen.

In einem von ihnen (November 1995), im Alter von 14, ging ich nachts alleine mit einer Taschenlampe in der Dunkelheit der Wohnung durch den Korridor hindurch. Dort stieß ich nach wenigen Schritten auf ein graues Wesen. Der Schein der Lampe beleuchtete das Gesicht, die schwarzen Augen und einen Teil des Oberkörpers. Ich verlor augenblicklich mein Bewusstsein und fiel zu Boden, obwohl ich mich geistig dagegen zur Wehr setzte. Irgendwie ging es danach einfach weiter: Ich irrte durch die nächtliche Wohnung, tastete mich mit einem Stock voran und zog es einem der grauen Wesen über den Kopf, das ich in meinem Zimmer fand. Es verblasste und verschwand. Ich war erleichert und wachte auf.

Nach diesem Traum schrieb ich eine weitere aufschlußreiche Beobachtung in mein Tagebuch: Die Träume über „Ufos“ hatten sich in diesem Jahr gehäuft. Meistens stand ich dabei in der Nacht auf dem Balkon und sah ein Objekt, das von links nach rechts über die Hügel zog. Es war ein etwas länglicher, weißlich-leuchtender Lichtpunkt. Als es ungefähr im Zentrum meiner Blickrichtung stand, parallel zu mir, brach das Geschehen ab. In einem dieser Träume schien es ganz abrupt zu mir herunter zu springen. Ich sah dabei seine Unterseite. Es war nun eine runde, gelb-weißliche Scheibe mit einem kleinen Kreis in seiner Mitte. und ich erwachte schweißgebadet, mit klopfenden Herzen.

In einem anderen Traum kam eines der Wesen aus dem Korridor in mein Zimmer gerannt. Im nächsten Augenblick stürzte es sich auf mich, und wir rangelten miteinander. In den Träumen versuchten die Wesen meinen Kopf zu berühren. In diesen Momenten wurde ich ohnmächtig, oder ich fiel einfach zu Boden, sobald ich ihnen gegenüberstand.

Etwas ganz Ähnliches erlebte ich nun in der Realität. Ich kam Nachts in meinem verhassten Flur zu mir und wusste nicht, wie ich dorthin gekommen war. Freiwillig hätte ich ihn nie betreten, und seltsamerweise bekam nie jemand in der Wohnung etwas davon mit. Dasselbe war mir ab und zu als Kind passiert, und jetzt begann es schon wieder. Die Grenze zwischen Traum und Realität begann langsam zu verschwimmen, aber immer nur dann, wenn es sich um einen meiner „dunklen Träume“ handelte.

Alles in allem köchelte es ganz gewaltig in mir. Zwischendurch, im Zeitraum um Pfingsten 1996, kam es zu einer Art „Offenbarung“, die eine neue Phase in meinen Erlebnissen einläutete und die Tür zu meinen Erinnerungen öffnete. Etwas – entweder etwas in mir, oder etwas außerhalb von mir – entfachte die einzelnen Erinnerungsfunken zu einem leuchtenden Feuer, das nun nie mehr erlöschen sollte.

Grafik: Erstellt mit künstlicher Intelligenz von Microsoft Bing

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